GLEICHBERECHTIGUNG IN DER BAR-BRANCHE?
Frauen* hinter dem Tresen, Frauen* in Führungspositionen, Frauen* auf dem Sieger:innenpodest von Cocktail Competitions – ist all das im Jahre 2023 überhaupt noch ein Thema?
Frauen* hinter dem Tresen, Frauen* in Führungspositionen, Frauen* auf dem Sieger:innenpodest von Cocktail Competitions – ist all das im Jahre 2023 überhaupt noch ein Thema?
Natürlich! Nur weil Gleichberechtigung in der Branche theoretisch Einzug erhalten hat, bedeutet das leider nicht automatisch, dass die Gleichstellung in der Praxis auch überall angekommen ist. Rechte haben, Rechte bekommen. Deshalb bitten wir anlässlich des International Women’s Days zwei Frauen, die die Branche aus vielen Perspektiven kennen und sie mit ihrem Schaffen aktiv mitgestalten, um ihre Einschätzungen.
Im Interview erzählen uns Nina Zilvar, die Gründerin der Küche Bar in Berlin, und Anne Linden, freiberufliche Kreativdirektorin für Bars und Spirituosen, von ihrem persönlichen Werdegang, ihren Beobachtungen und ihren Tipps und Wünschen für die Szene.
NINA ZILVAR, GRÜNDERIN DER KÜCHE BAR IN BERLIN
Nina Zilvar betreibt seit 2017 die Küche Bar in Berlin- Kreuzberg, in der ohne Tresen als Barriere ein geselliges Miteinander zwischen Personal und Gästen entsteht. Für dieses außergewöhnliche Kreativkonzept wurde Nina Zilvar vom österreichischen Falstaff Magazin zur Barfrau des Jahres 2022 gekürt.
Was hat dich am Anfang deiner Karriere an der Bar-Branche gereizt und was reizt dich noch heute?
Ich fing ganz klassisch parallel zum Studium an, in Bars zu jobben. Mit der Zeit entwickelte ich mehr und mehr Interesse an Spirituosen, Drinks und vor allem daran, Gästen einen schönen Abend zu bescheren und sie zu begeistern. Mein Fokus auf das „Gastgeben“ und natürlich die jeweiligen Teams, in denen ich gearbeitet habe, haben am Ende dafür gesorgt, dass ich am Ball geblieben bin.
Welche Tipps hast du für Bartender:innen, die gerade am Anfang ihrer Karriere stehen?
Man muss auf jeden Fall Spaß an diesem Job haben, denn er ist nicht ganz unanstrengend. Man sollte sein Handwerk beherrschen, also von Grund auf lernen, viel lesen und auch den einen oder anderen Drink probieren. Und natürlich immer offen für Neues sein. Sich Bars und Kollegen angucken, austauschen und dann seinen eigenen Weg finden. Ein individueller Stil ist schon wichtig, sonst wäre die Branche ja niemals so vielseitig.
Wer waren bzw. sind deine Vorbilder in der Branche?
Als ich anfing, war natürlich Beate „Beat“ Hindermann aus der Victoria Bar, die Barfrau schlechthin in Berlin – wahrscheinlich sogar in ganz Deutschland. Ihr hörte man gerne zu und natürlich hatte man auch einen gewissen Respekt. Da ich aber nie eine Barkarriere geplant hatte, habe ich mir über Vorbilder damals wenig Gedanken gemacht. Retrospektiv betrachtet, war es aber wahrscheinlich Beate.
Welche Barrieren sind dir als Frau in der Branche begegnet und wie hast du sie überwunden?
Ich glaube, ich hatte meistens Glück mit meinen Chefs. Für sie schien es egal, ob männlich oder weiblich, solange Du Deinen Job vernünftig machst. Ich habe mich nur ein einziges Mal um einen Job beworben, bei dem mir beim Bewerbungsgespräch schon klar wurde: Das wird nix. Hier ist zu viel fehlgeleitetes Testosteron im Raum. Das hätte einfach nicht gepasst, war aber auch nicht weiter schlimm, da ich mich einfach gegen diesen Job entscheiden konnte.
Welche positiven Entwicklungen für Frauen* in der Branche hast du seit deinem Einstieg beobachtet?
Es gibt heute wesentlich mehr Frauen hinter den Tresen als noch vor zehn Jahren. Auch wirklich hinter den Tresen und nicht nur im Service. Frauen, die sich genauso als Barkeeper*innen verstehen, wie ihre männlichen Kollegen. Das finde ich gut und das ist doch auch für die Gäste schöner, wenn die Barszene die Gesellschaft widerspiegelt. Natürlich kommt es vor, dass Frauen der Bar den Rücken zukehren, wenn bei ihnen ein Kinderwunsch aufkommt. Die Vorstellung, Kind und Barszene miteinander zu vereinbaren, haben die wenigsten Frauen, was sicher ein Grund dafür ist, dass es mehr männliche Kollegen älteren Semesters gibt. Das muss aber jede für sich entscheiden.
Was muss sich noch ändern, damit die Branche für Frauen* inklusiver, sicherer und somit langfristig attraktiver wird?
Das kann ich gar nicht so richtig beantworten, da ich, wie zuvor erwähnt, dieses Problem aus meinem Umfeld so nicht kenne. Bei mir in der Bar sind wir vier Frauen und ein Mann. Das funktioniert wunderbar. Und ich kenne einige Frauen, die in Bars Führungspositionen innehaben. Aber ganz sicher nicht, weil sie Frauen sind, sondern weil sie einen guten Job machen. Wenn Frauen aus dem Bar-Business ausgeschieden sind, dann weil sie Kinder bekommen haben oder es für sie an der Zeit war, sich umzuorientieren und z. B. in den Vertrieb zu wechseln. Aber das machen Männer ja auch.
Wünschst du dir persönlich mehr Kolleg:innen in der Branche?
Wie gesagt, ich habe selbst in meiner Bar drei weitere Frauen und einen Mann angestellt, das hat sich aber zufällig so ergeben und wir kommen im Team super klar, weshalb ich nicht allzu viel dazu sagen kann. Wenn ich mich mit Kollegen unterhalte, höre ich immer häufiger von Frauen, die eingestellt werden. Das mag aber auch daran liegen, dass ich mich in einem recht offenen und toleranten Umfeld bewege und mit dieser aktuell viel diskutierten „toxischen Männlichkeit“ zum Glück wenig zu tun habe.
Welcher Aspekt kommt dir beim Thema „Frauen* in der Bar-Branche“ meist zu kurz?
Das hat gar nicht zwingend etwas mit Frauen zu tun: Die Vereinbarkeit von Familien und Beziehungen mit einem Job in der Barwelt ist schwierig. Wie soll man beispielsweise morgens sein Kind in den Kindergarten bringen, wenn man selbst bis drei oder vier Uhr nachts gearbeitet hat? Klar, dieses Problem haben alle, die nachts oder im Schichtdienst arbeiten, aber ich glaube bei Bartender*innen wird es weniger thematisiert, weil die meisten sich automatisch für die Familie und dann einfach für einen anderen Job entscheiden.
Welcher Drink ist dein privater Lieblingsdrink und welcher dein Signature Drink als Bartenderin?
Wenn ich privat Cocktails trinke, dann bestelle ich meistens einen Manhattan oder einen Harvard, also eher klassisch kräftige Drinks. Der Signature Drink in unserer Bar ist wahrscheinlich die Birne im Gin, ein auf Gin basierter Drink mit einem Williamsbirnenbrand, Birnensenf, frischer Zitrone und Thymian. Als Sidedish gibt es einen kleinen flambierten Ziegenkäse mit Honig und Mandelsplittern. Der kommt seit Jahren gut an und fliegt auch nicht mehr von der Karte:
ANNE LINDEN, CREATIVE DIRECTOR FÜR BARS UND SPIRITUOSEN
Anne Linden hat sich nach einer preisgekrönten Karriere als Bartenderin in u. a. der Berliner Bar am Steinplatz sowie der Ory Bar in München als Creative Director selbstständig gemacht. Sie entwickelt Konzepte für Cocktails, Events und Social Media-Kampagnen großer Getränkemarken und betreibt zusammen mit Chloé Merz den Kanal ice & tasty.
Was hat dich am Anfang deiner Karriere an der Bar-Branche gereizt und was reizt dich noch heute?
Während meines Studiums der Museumswissenschaften in Berlin habe ich 2014 im Ritz Carlton Hotel im Curtain Club und in der Fragrances Bar gearbeitet. Beide Bars waren von starken Konzepten und eindrucksvollem Storytelling geprägt. Ein Abend in diesen Bars war ein richtiges Erlebnis und durch jeden Moment zog sich ein roter Faden. Mich hat damals unglaublich beeindruckt, wie facettenreich die Erarbeitung von Kreationen in der Bar-Industrie sein kann. Die besondere Mischung aus Gastgebertum, Handwerk, Kreativität und konzeptionellem Arbeiten begeistert mich noch heute. Als Creative Director stehe ich zwar nicht mehr regelmäßig hinter dem Tresen, genieße jedoch noch immer die Charakteristika, die diese Branche so spannend machen.
Welche Tipps hast du für Bartender:innen, die gerade am Anfang ihrer Karriere stehen?
Meiner Meinung nach ist es sehr wichtig, jede fachliche Frage zu stellen, die einem auf der Zunge liegt. Das Erfragen von Dingen bringt uns weiter, kann neue Perspektiven aufzeigen und lässt uns von den Erfahrungen und dem Wissen anderer lernen. Neben der Aneignung von Wissen, durch Fragen, Fachliteratur und Internet, ist es meiner Meinung nach essenziell, sich so früh wie möglich zu professionalisieren. Sowohl hinter dem Tresen als auch im Gespräch mit Gästen, in Zusammenarbeit mit Fachkolleg:innen oder Industriepartner:innen und auch auf Social Media sollte man authentisch, aber professionell auftreten.
Wer waren bzw. sind deine Vorbilder in der Branche?
Zu Beginn waren es aufgrund ihrer Bekanntheit Bartender:innen, die weit von mir entfernt wirkten, wie Monica Berg oder Tess Posthumus. Mittlerweile finde ich Vorbilder auch bzw. vor allem in meinem Bekanntenkreis. Frauen* wie Maria Gorbatschova, Rose-Manon Baux, Pia Köfler, Nathalie Van Wyk und Chloé Merz inspirieren mich.
Welche Barrieren sind die als Frau in der Branche begegnet und wie hast du sie überwunden?
Ich habe mit 21 Jahren in der Bar-Branche angefangen. In diesem Alter fiel es mir schwer, mich gegen Vorurteile und Umgangsformen gegenüber Frauen* zu behaupten. Mit der Zeit habe ich verstanden, dass nicht das Umfeld bestimmt, wie ich auftreten soll, wie viel Raum ich einnehmen darf oder wo ich meine Grenzen setze.
Welche positiven Entwicklungen für Frauen* in der Branche hast du seit deinem Einstieg beobachtet?
Meiner Meinung nach ist eine der positivsten Entwicklungen der gesteigerte Zusammenhalt unter den Frauen* in der Branche. Lange Zeit, so zumindest meine Erfahrung, nahmen wir einander als Konkurrenz wahr, weil es nicht viel Präsenz und Raum für uns gab. Heute wird uns mehr Sichtbarkeit ermöglicht, z. B. durch Interviews, Workshops, Kooperationen, Brand Trips und Events. Darüber hinaus vernetzen wir uns und erschaffen selbst Möglichkeiten gesehen und gehört zu werden.
Was muss sich noch ändern, damit die Branche für Frauen* inklusiver, sicherer und somit langfristig attraktiver wird?
Wenn wir von langfristigen Karrieren in der Branche bzw. am Tresen sprechen, müssen wir automatisch über Themen wie körperliche Gesundheit, Familienplanung und Diversität in der Jobbeschreibung sprechen. Die Erwartungen an eine Karriere in der Branche sind seit Jahrzehnten durch Männer geprägt. Ich hoffe, dass in den oben genannten Bereichen bald ein Umdenken stattfindet und sich neue Arbeitsstrukturen und Jobs entwickeln. Meinen Job, wie ich ihn jetzt mache, gab es zuvor auch nicht.
Wünschst du dir persönlich mehr Kolleg:innen in der Branche?
Selbstverständlich. Ich schätze die Arbeit mit Frauen* sehr. Ich erlebe die Zusammenarbeit mit ihnen als effektiv, effizient, stressfrei, kreativ und äußerst erfolgreich.
Welcher Aspekt kommt dir beim Thema „Frauen* in der Bar-Branche“ meist zu kurz?
Die Akzeptanz, dass Frauen* im Berufsalltag eine andere Realität als Männer erleben. Ja, es ist unangenehm sich mit Ignoranz, Übergriffigkeit, Pay-Gap und Vorurteilen zu beschäftigen. Doch diese Themen müssen angesprochen werden – nicht nur von Frauen*. Und vor allem muss zugehört und entsprechend gehandelt werden.
Welche Kolleg:innen bereichern die Branche und sollten an dieser Stelle unbedingt erwähnt werden?
Neben meinen oben genannten Vorbildern sind das: Jule Frommelt (Fotografin), Sarah Fischer, Marie Rausch, Linda Le, Alex Kulick, Susan MacKenzie und noch viele andere.
Welcher Drink ist dein privater Lieblingsdrink und welcher dein Signature Drink als Bartenderin?
Wenn ich privat trinken gehe, bestelle ich sehr gerne einen Adonis, einen Manhattan oder ein Glas Champagner. Ich glaube nicht, dass ich den einen Signature Drink habe, aber aus dem letzten Jahr ist mir ein Drink für ice & tasty sehr in Erinnerung geblieben: Gentle & Shiso. Hierfür habe ich das erste Mal mit rotem Shiso gearbeitet – was für großartige Nuancen! Nach diesem Rezept habe ich roten Shiso oft verwendet und werde es wohl auch weiterhin tun.